Berti bleibt ein Schotte

Die Arbeit hat sich gelohnt: Unter Fußball-Entwicklungshelfer McVogts erkämpft sich Schottland ein 1:1 gegen erneut ideenlose DFB-Kicker und lässt die Kritik am Kleinenbroicher vorerst verstummen

aus Glasgow RALF SOTSCHECK

Fast wäre er zum Mond geflogen. Iain, ein massiger Schotte, dessen Kinn nahtlos in den Hals übergeht, stand am Samstagvormittag an einer Bushaltestelle in Glasgows Innenstadt, als eine alte Frau ihn wegen der schottischen Flagge ansprach, die Iain über seinem Kopf schwenkte. „Wir spielen heute Fußball gegen Deutschland“, erklärte Iain, und die Frau fragte ihn, ob man gewinnen werde. „Eher lande ich auf dem Mond“, antwortete Iain und rückte seinen weiten Kilt zurecht, den Schottenrock, unter dem eine Kleinfamilie mühelos Schutz vor dem schottischen Regen gefunden hätte.

Der übergroße Respekt vor der deutschen Nationalmannschaft ist den Briten selbst durch konstant mittelmäßige Leistungen des German-Teams nicht auszutreiben. Auch im EM-Qualifikationsspiel am Samstag war das deutsche Spiel ausgesprochen mittelmäßig, und da die Schotten außer beherztem Einsatzwillen nicht viel zu bieten hatten, entwickelte sich ein langweiliges Gekicke, bei dem beide Torhüter einen ruhigen Nachmittag verbrachten. Das 1:1-Unentschieden ist gerecht, einen Sieg hatte keine der beiden Mannschaften verdient.

Die Schotten feierten das Ergebnis wie einen Sieg. Vor dem Spiel hatte keiner einen Pfifferling auf sie gegeben. Als die Spieler im Nationalstadion Hampden Park auf den Platz liefen, hatte Verteidiger Gary Naysmith einen großen braunen Fleck hinten auf seiner weißen Hose. „Ist das beim Aufwärmen passiert“, fragte ein Zuschauer, „oder haben ihm die Nerven in der Kabine geflattert?“

Noch nie in der schottischen Fußballgeschichte standen die Wetten auf die Schotten bei einem Heimspiel so schlecht. Viele hatten gar auf eine 0:5-Niederlage gesetzt. Wäre das eingetroffen, hätte DFB-Teamchef Rudi Völler seinen Amtsvorgänger, den Schottland-Trainer Berti Vogts, gleich mit nach Deutschland nehmen können. So aber feierten die Schotten das Unentschieden von Bertis Boys gegen Bertis Exbuben wie einen Sieg. Bis spät in die Nacht tanzten Männer in Röcken vor den Pubs auf den Straßen, darunter auch die Deutschen von „Gerta“, der „German Tartan Army“ aus Frankfurt. Die „deutsche Armee im Schottenkaro“ hatte in Glasgow tiefe Verwunderung ausgelöst. Warum, so fragte man sich, unterstützen Menschen aus dem Land des Vizeweltmeisters ein Team von ausländischen Versagern?

Nach dem Spiel, auf das „seit drei Monaten alles ausgerichtet“ war, wie Vogts sagte, war ihm alles vergeben. Man war sich einig, dass es die beste Leistung der Schotten gewesen sei, seit er das Traineramt vor anderthalb Jahren übernommen hat. Da kann man froh sein, dass einem die anderen 14 Spiele als Zuschauer erspart geblieben sind, darunter Pleiten gegen die Faröer Inseln und Neuseeland.

Vogts war immer mehr unter Druck geraten. Zum Schluss hatte es die Presse aufgegeben, ihn zu kritisieren, sondern machte sich nur noch lustig. Dazu reichte es, ihn zu zitieren. Bei seinem Amtsantritt hatte er gesagt, man solle ihn fortan „McVogts“ nennen, und fügte hinzu: „Ich bin langweiliger als ein Wohnwagenplatz im Winter.“ Nach der peinlichen Vorstellung gegen Österreich im Mai höhnte der Sportreporter des Daily Record: „Seine Taktik ist idiotisch. Meine Frau würde eine bessere Mannschaft aufstellen, als er es getan hat.“ Scotland on Sunday meinte: „Es ist wie ein schlechter Traum, aus dem es kein Erwachen gibt.“ Und Sky Television stellte fest, dass der Trainer offenbar mehr an Kuchen als an seinem Job interessiert sei. Der eingeschnappte Vogts verbannte die Sky-Reporter vorige Woche von den Pressekonferenzen und musste sich prompt daran erinnern lassen, dass die Millionen, die Sky TV für die Übertragungsrechte der schottischen Spiele gezahlt hat, nicht zuletzt seinen Lohn garantieren.

Eine Job-Garantie hat er allerdings auch nach dem Unentschieden nicht, sondern wohl eher eine Verlängerung der Galgenfrist, um eine schlagkräftige junge Mannschaft aufzubauen. Davon ist er noch weit entfernt, das deutsche Team war am Samstag als Gradmesser nicht zu gebrauchen. Völler räumte ein, dass man nicht mehr als ein Unentschieden verdient hatte. „Die beiden Punkte, die wir heute verloren haben, müssen wir am Mittwoch wieder hereinholen“, fügte er hinzu. Wie denn? Morgen auf den Faröer Inseln werden keine zwei Zusatzpunkte vergeben. Oder hatte Völler zuvor nur ein Unentschieden gegen die Freizeitfußballer von den felsigen Inseln eingeplant?

Im September kommen die Freizeitfußballer nach Glasgow. Das Spiel – wie auch das letzte Heimspiel gegen Litauen – müssen die Schotten gewinnen, wollen sie sich den zweiten Platz in Gruppe fünf nicht vermasseln, der wenigstens ein Hintertürchen für die Qualifikation zur Europameisterschaft nächstes Jahr in Portugal offen lässt. Völlers Mannschaft wird sich wohl direkt qualifizieren, auch wenn sie noch so schlecht spielt. Wie weit man mit solch müdem Kick kommen kann, hat die Weltmeisterschaft im vorigen Jahr gezeigt. Einige schottische Spieler träumen seit Samstag allerdings von einem Sieg im Rückspiel gegen Deutschland am 10. September im Dortmunder Westfalenstadion. Sollten sie Recht behalten, fliegt Iain doch noch zum Mond.